Sonntag, 28. Dezember 2008

Zoo bis Alex in 20 Minuten...

Tief vergraben sind die Bilder. Verschwommen und Schwarzweiß. Eine graue, schier endlose, unglaublich hässliche Mauer. Davor ein Metallgerüst mit Treppe, die auf ein Podest führt. Jeder Schritt, der die Treppe erklimmt, macht neugierig und schürt Erwartungen. Oben angekommen breitet sich augenblicklich fürchterliche Enttäuschung aus und Tristesse überzieht die Köpfe der Mitreisenden mit einem faden Schleier. Mutlosigkeit, weil man nur weit am Horizont Leben erkennt. Dazwischen ein Vakuum, das man Todesstreifen nennt.

Zurück im westlichen Komfort des Reisebusses läuft das Pflichtprogramm pflichtgemäß routiniert an mir vorbei. Ein gelangweilter Blick auf die Inschrift „Dem Deutschen Volke“, ein letzter Blick auf die leblose Betontrübseligkeit und bereits zwei Stunden später verschwimmen die Bilder, setzen sich am Boden irgendeiner Gehirnwindung fest. Unauslöschlich, jederzeit präsent.

Ungefähr fünfzehn Jahre später begegnen wir uns wieder. Vorsichtig. Neugierig. Wie ist es Dir ergangen? Viel erlebt hast Du in der Zwischenzeit, genau wie ich. Sieht man Dir die Zeichen der Zeit an?

Ein stummer Schrei strömt mir durch Mark und Bein. Was hat man Dir angetan? Wo ist Deine Seele? Überall klaffende Wunden. Riesig und unüberschaubar. Nur wenige Fleckchen sind geblieben, an denen ich Dich wieder erkenne. Nirgendwo möchte ich mich niederlassen, um Dir zuzuhören. Du warst verwundet, ja, aber brauchst Du deshalb ein völlig neues Gesicht? Das obligatorische Pflichtprogramm gerät zur Farce. Verwirrt, enttäuscht, bedrückt nehme ich Abschied. Mit einer ungewissen Angst im Nacken, was wird aus Dir?

Weitere sieben Jahre später, 2006, sehen wir uns erneut wieder. Mit gemischten Gefühlen trete ich heraus aus dem Bahnhof Zoologischer Garten. Ein strahlender Morgen. Hier hat sich nichts verändert. Emsige Betriebsamkeit, lautes Leben und stille Momentaufnahmen. Christiane F. ist schon lange erwachsen. Sanft der Wind in den Arkaden des Ku’damms. Koko von Knebel heißt die neueste Kreation von Udo Walz. Vorsichtige Blicke in die Nebenstraßen und Plätze. Nein, hier ist die Zeit stehen geblieben.

Die Zeit heilt Wunden, auch Deine? Mein erster Halt am Potsdamer Platz lässt mich hoffen und staunen. Symbiose aus Holz, Stahl, Glas und Beton – Fassaden so glatt, dass man sie am liebsten streicheln möchte. Architektur, die nach Zukunft riecht und Spaß verspricht.

Umstrittenes Stelenfeld – ein angestoßener Stein bringt Geschichte ins Rollen. Eine Seite beklemmend, die andere integriert. Das Stasi-Museum fördert Skurriles zutage, über das ein Wessie nur schmunzeln kann. Sprachlos der Anblick der vielen Postsendungen, die einbehalten wurden. Ohnmächtige Wut darüber, wie viele Einzelschicksale so nutzlos beeinflusst wurden. Wie lächerlich sind dagegen die Ost-Kopien amerikanischer und japanischer Produkte in der Ausstellungsvitrine. Produktpiraterie in Kinderschuhen.

Mauererinnerungen am Checkpoint-Charlie. You are leaving the american sector. Groteske Pantomime vor dem Brandenburger Tor. Capuccino im Adlon. Verstaubtes Preußen in Charlottenburg und Potsdam. Unter den Linden liegt ein Penner auf einer Parkbank. Leiser Regen fällt auf die Gold-Else. Das Kanzleramt kühlt die Luft vor Sachlichkeit. Klinisch reiner Beton für heiße Debatten. Spatzen auf dem Gendarmenmarkt lauschen belustigt einer französischen Schülergruppe. Im Palast versiegen alle Tränen. Der Turm des Roten Rathauses verhüllt wie bei Christo. Von hier bis Los Angeles 9684 km. Erichs Lampenladen bröckelt. Nein, zurückgebaut wird er, heißt es auf dem Transparent davor.

Nina Hagen in der Sonnenallee. Ein Händler verkauft auch sonntags Wasserpfeifen, an der nächsten Ecke telefoniert eine Berliner Göre lässig an eine Hauswand gelehnt. Am Bahnhof Friedrichstraße finde ich die Punks vom Bahnhof Zoo wieder. Samt Sicherheitsnadeln und Ratte. Welches Klischee? Die Quartiers zwischen Friedrichstraße und Oranienburger Straße lassen nur Hardcore-Shopping oder konsequente Abstinenz zu.

Das bunte Treiben bei den Hackeschen Höfen ist hausgemacht und dauert vierundzwanzig Stunden lang. U-Bahn Richtung Neukölln überfüllt. Unterschiede zwischen Einheimischen und Touristen verschwimmen. Pittoreskes Idyll im Nicolai-Viertel. Geschichtlich wenig ergiebig, touristisch voll erschlossen. Ick weeß zu ville, sagte Zille. Konserviertes „Milljöh“ ohne Seele.

Vom „Alex“ keine Spur, nur Bauzäune, Staub, zerbrochener Beton und „Inner City Blues“. Kein Platz zum Luftholen. Wo ist die Berliner Luft? Und plötzlich ist sie da. Ganz unvermittelt und laut. „Na, det is ja `n Ding, wa?“ Ein kleiner Satz nur, mit zentnerschwerem Gewicht, das pure Leichtigkeit vermittelt.

Dein Gesicht hast Du wieder, runderneuert und doch sind die tiefen Falten geblieben. Verbogen hast Du Dich, aber nicht verleugnet. Ein paar Schrammen sind noch vorhanden, aber die heilen auch noch.

Bis bald.

(c) Daniela Röcker 2005