Montag, 14. Februar 2011

Valentinstag

Wie gut, dass es Karstadt gibt. Sonst wäre ich womöglich weiterhin dem völlig veralteten Irrtum aufgesessen, dass man am Valentinstag immer Blumen verschenken muss. Aber nein, der frisch sanierte Konzern Karstadt, der jüngst seinen Vorstand mit Doris Schröder-Köpf frauenförderlich dekorierte, erklärt mir mittels buntem Verkaufsblättchen als Morgengabe zur Tageszeitung, wie der perfekte Valentinstag auszusehen hat.

Auf der Startseite steckt ein mutmaßlich verliebtes und heterosexuelles Pärchen lächelnd die Köpfe zusammen. Die Headline lässt erahnen, dass die beiden offensichtlich mehr über den Valentinstag wissen als ich und dann geht es auch schon los:
„8:30 Uhr Ausschlafen“ heißt es dann folgerichtig für den Start in einen perfekten Tag und ich sehe die beiden Schönen von der Startseite schlafend in trauter, überaus asexueller, hygienischer Löffelchenstellung in bügelfreier Seersucker-Bettwäsche in frischen, frühlingshaften Farben. „Will ich auch!“, seufze ich innerlich und Karstadt macht mir die Entscheidung zur Anschaffung von Herz- und Häkelkissen, Taft-Kissenhüllen und Microfaser-Flauschdecken leicht, denn alle Produkte auf der Seite sind preisreduziert. Mit Schnäppchen am Valentinstag aufzuwachen, bringt das gemeine Krämerseelenherz in Verzückung!

Um 9:15 Uhr steht Frühstück auf dem Programm und die beiden beginnen dieses mit Sekt, kleinen Herzkuchen und Turteltaubenbechern. Außerdem kann ich mit einer Schablone den Schriftzug „Love“ in den Milchschaum sieben. Haben Sie das schon einmal probiert? Sollten Sie das unfallfrei hinbekommen, wäre ich Ihnen dankbar für Hilfestellung. Bei meinen kläglichen Versuchen, hustete ich nach der Anwendung Kakaostaub und der Schriftzug sah aus wie die sinkende Titanic. Um 10:33 Uhr sieht man sie, die holde Schöne, wellnessen und Körper und Seele mit Raumdüften und Walk-Frottier-Handtüchern zum regulären Preis beglücken. Knappe anderthalb Stunden nach dem Wellness-Ausflug wirft sie sich um 11:50 Uhr in reizende Wäsche, wobei reizend laut Duden u.a. mit „anziehend“ definiert wird, was man von der Dame im Bild bei allem Wohlwollen nur rudimentär behaupten kann.

Sollte mir der „perfekte Valentinstag“ bis zu diesem Zeitpunkt des Tages durchaus noch genehm gewesen sein, so ist dies spätesten um zehn vor zwölf vorbei. Wohin ist erstens der Typ Marke „Businesskasper“ nach dem Frühstück verschwunden? Aufs Klo zur Dauersitzung, zum Valentinsfrühschoppen, zum Daddeln auf die Wohnzimmercouch? Warum wirft die Dame des Hauses sich um diese Zeit in unbequeme Reizwäsche, o.k. in die erotikferne mit den kleinen Streublümchen, aber egal, und warum zieht sie dazu weiße, halterlose Strümpfe an? Blättern wir schnell weiter. 12:20 Uhr Gut Aussehen. Sie schminkt sich die Lippen. Der sensationslüsterne Investigateur in mir würde nun schon gerne wissen, was in diesen anderthalb Stunden passiert ist. Nun gut, die Zeit rennt und um 13:05 Uhr steht „An ihn denken“ auf dem Programm. Ha, hab‘ ich es doch gewusst. Die Reizwäsche um zehn vor zwölf war nicht für den Typen der Schönen gedacht, sondern für einen oder eine andere. Schön, gefällt mir, dass Karstadt ein so offenes Beziehungsgefüge befürwortet.

Schade, dass dieser Eindruck um exakt 14:18 Uhr zunichte gemacht wird: Dekorieren. Himmelhergottnochmal! Wir waren doch schon bei der offenen Beziehung, wieso denn jetzt die Vollbremsung und das Aufhübschen des trauten Heimes? Doch es geht noch besser, denn jetzt folgt Schlag auf Schlag der Countdown, der jeder Feministin und jedem Feministen das Blut in den Adern gefrieren lässt: 15:40 Uhr Outfit planen, 16:22 Uhr Anprobe, 17:30 Uhr ihn sprachlos machen. Oha, die Bedienung des Weibchenklischees par excellence und zur Belohnung gibt es ab 19:37 Uhr (warum eigentlich so eine ungerade Uhrzeit?) Zweisamkeit! Das versteht sogar mein wutschnaubendes Ich, denn am Valentinstag, dem Feiertag der Liebenden – ja, da darf Zweisamkeit nicht fehlen. Allerdings hat die schöne Blonde diesen Tag doch hauptsächlich alleine verbracht. Ich bin verwirrt.

Um 21:30 Uhr heißt es: danke schön! Würden auf der Seite nicht etliche glitzernde Geschmeide angeboten, wäre ich jetzt unsicher, wem das Dankeschön gilt. Da ich aber der Kausalität und dem Klischee folgend, davon ausgehe, dass der Schönling und sein Blondchen die Zeit zwischen 19:37 Uhr und 21:30 Uhr zum Blümchensex in der frisch-frommen Bettwäsche genutzt haben, kann ich das Angebot zielgruppengerecht interpretieren. Nein, ich werde keine Überlegungen anstellen, dass er ihr das Geschmeide als Entschuldigung für aushäusige, sexuelle Entgleisungen schenkt, denn die beiden haben eine offene, sexuelle Beziehung, wie wir seit 11.50 Uhr wissen. Nun kommt es aber zum Ausklang des perfekten Tages – 22:25 Uhr Herzklopfen.

Das Herzklopfen besteht in diesem Fall aus Digitalkamera, iPod nano, Nintendo und ja, Sie ahnen es: DVDs. DVDs mit emotionalem wie intellektuellem Tiefgang à „Schokolade zum Frühstück“, „Sex and the City“ oder „Doris-Day-Special“. Dieser Aspekt des wunderbar perfekten Valentinstages kommt fast wirklichkeitsnah daher. Herzlichen Glückwunsch, Herr Karstadt! Mutti verbringt den Tag über mit Hornhautpflege, Shoppen und Aufhübschen, serviert Häppchen, wenn der Herr des Hauses auftaucht, springt auftragsgemäß mit ihm in die Federn und taucht von dort, möglicherweise gelangweilt, spätabends wieder auf und wirft entspannt einen typischen, dummdämlichen Mädelsfilm ein. Fast möchte man Mitleid mit dem Businesskasper haben, aber wir erfahren nicht, ob er zum Mitschmachten verdammt wird.

Mit dem finalen Ausklang des perfekten Valentinstages lässt uns die Firma Karstadt jedoch im Regen stehen: ab 23:00 Uhr sehen wir die beiden tanzend - ohne Headline. Drei verheißungsvolle Punkte bilden den krönenden Abschluss des Tages. Werden die beiden volltrunken ob des Konsums billigen Schaumweins in die nur leicht beschmutzte Bettwäsche fallen und selig verliebt im Löffelchen einschlafen? Wird sie sich mit einer zweiten Runde Sex für den grottenschlechten Film, das verbrannte Abendessen und das, zum Shoppen verbratene, Haushaltsgeld entschuldigen müssen? Oder werden die beiden sich nächtens trennen, um schmutzigen, schweißtreibenden Sex außerhalb des allerliebst dekorierten Heimes, gefälliger Blümchenreizwäsche und klischeehaften Vorstellungen zu haben?
Eines habe ich nun aber endgültig kapiert: mit Blumen hat der Valentinstag nix zu tun.

(c) Daniela Röcker 2011