Mittwoch, 21. Oktober 2009

Retrospektive: Spiele-Nachmittag in den 80ern

Der Vorwand unter dem Deckmantel des nachmittäglichen, außerschulischen Zusammentreffens zwecks lockerer Konversation gipfelte an diversen Nachmittagen in den 80er Jahren in dem Ergebnis, dass man entweder einen kompletten Seelenstriptease hinlegte oder feuchte Erfahrungen im Mund- und Rachenraum austauschte.

Flaschendrehen!

Eine lächerliche, leere Cola-Flasche mutierte zum erbarmungslosen Fallbeil der Guillotine. Eine Gruppe heranwachsender Helden und Heldinnen harrte, im Kreis sitzend, ergeben des Urteils. Die Coolness in Person saß breitbeinig oder im Schneidersitz rauchend auf dem Boden, der eher ängstliche Charakter kniete mit zusammengepressten Beinen, damit möglichst wenig Grundfläche entstand, auf die der Kopf der Flasche zeigen konnte.

„Dass Du nicht mehr bist, was Du einmal warst, seit Du Dich für mich ausgezogen hast,“ sang Annett Louisan, Reinkarnations-Lolita, vor einigen Jahren und war vermutlich weit davon entfernt, sich in die Gedankenwelt der ehemaligen 80er Jugend hinein denken zu können, denn der tatsächlichen Kleidung entledigt hatte sich damals zwar niemand, zumindest nicht komplett, dafür wurde die psychische Blöße zum höchsten Spielerfolg stilisiert und mitunter konnten spontan erpresste Wahrheitsbekundungen einem die gesamte Schulzeit ruinieren.

Wahrheit oder Pflicht! Das war keine Wahlmöglichkeit sondern pure Folter. Entschied man sich für „Wahrheit“, würde gleich dieser kleine, schmierige Typ, den man bisher für seinen besten Freund hielt, eine, die privateste Privatsphäre aufs Unverschämteste verletzende, Frage stellen, dass man erstens für den Rest des Schuljahres den Schulhof nur noch mit diskreter Papiertüte über dem Kopf betreten konnte, und zweitens auf den Korridoren von blöd-peinlichen Kommentaren hinterrücks erdolcht wurde. Man mag selbst in seinen Erinnerungen kramen, ob es sinnvoller war, sich für „Pflicht“ zu entscheiden.

Immer gab es jemanden, dem sexuelle Ersterfahrungen komplett abgingen und der lieber für Spielchen à la „geh’ nach draußen und verkaufe 30 gebrauchte Kondome an weibliche Passanten“ sorgte und somit für Heiterkeitsausbrüche der besonderen Art garantierte.

Das Gros der Mitspielenden jedoch lechzte nur danach, die in unzähligen Theoriesitzungen verschlungenen Bravo-Aufklärungsberichte am lebenden Objekt zu testen, um sich danach vertrauensvoll und anonym an Dr. Sommer zu wenden, weil die Realität doch meilenweit von den bunten Bildchen entfernt war.

Nun, die Zeiten wandeln sich und die damals pubertierenden Protagonisten haben heutzutage mehrheitlich ein eher entspanntes Verhältnis zur Sexualität. Doch die Erinnerung an dieses verflixte Spiel der Adoleszenz lässt für einen kurzen Moment ein mildes, wissendes Lächeln über die Gesichtszüge huschen. Schön war’s trotzdem.

(c) Daniela Röcker 2009