Freitag, 25. März 2011

Vor der Prüfung

Schönes Wetter. Die Sonne scheint und ich blinzle ein wenig. Auf der Bank neben mir emsiges Blätterrascheln und Buchblättern. Weiter hinten rollen ein paar Studenten lärmend einen Bollerwagen voller Bierkästen über den Campus-Innenhof. Seufzend blicke ich auf meine Notizen. Absolute Straftheorie. Hegelsche Negation der Negation.

„Dürfen wir mit Ihnen über die Mutter Gottes reden?“ Ich schaue hoch. Drei dunkelhaarige Mädel in braven schwarzen Hosenanzügen mustern mich abwartend. Zeugen Jehovas scheiden wohl aus, fährt es mir durch den Kopf, während ich nach einer Ausrede suche. „Ähm, lieber nein“, bringe ich unschlüssig raus. „Wir kommen aus Korea und studieren Theologie“, erklärt eines der Mädels und setzt hinzu „Wir möchten gerne über die Mutter Gottes sprechen“. „Das ist jetzt eher schlecht“, schüttle ich den Kopf, „ich hab‘ gleich Prüfung“ und bin dankbar über die wahrheitsgemäße Ausrede. „Dürfen wir später nochmal wiederkommen? Wir würden gerne über die Mutter Gottes sprechen!“ Hartnäckig sind sie ja, die drei. Das rechne ich ihnen hoch an. „Sorry, aber ich studiere nicht hier. Ich bin nur heute zur Prüfung da.“ Die drei nicken verstehend und starten noch einen Versuch „Glauben Sie an die Bibel und an die Mutter Gottes?“. „Nein“, sage ich endgültig und schüttle erneut den Kopf. „Oh, okay“, sagt die Wortführerin, dreht sich lächelnd um und entschwindet mit ihren beiden Komplizinnen.
Ein wenig irritiert blicke ich Ihnen nach. So einfach geht das? Keine Überzeugungsarbeit? Innerlich schelte ich mich. Warum hast Du die Gelegenheit nicht genutzt? Hast Ihnen erklärt, dass die Bibel ein schlimmeres Plagiat ist, als alle gesammelten Plagiate der Literaturgeschichte zusammen? Dass sie aus Dutzenden Geschichten und Mythen zusammengeklaubt und je nach Gusto verändert wurde? Dass die Mutter Gottes nur noch ein Rudiment ihres eigentlichen Ursprungs ist, der Großen Göttin nämlich? Warum haust du Ihnen nicht um die Ohren, dass vor ca. 7000 Jahren Menschen nicht an einen Gottvater, sondern an Mutter Natur mit all ihren Vor- und Nachteilen glaubten und die Diskriminierung alles Weiblichen so unvorstellbar abwegig war, als wenn man heute erführe, dass der Papst glücklicher vierfacher Vater und mit einem Homosexuellen verheiratet wäre? Fragst sie, warum Theologen Menschen auf ein Leben nach dem Tod vertrösten, anstatt ihnen zu bestätigen, dass irdisches Leben unmittelbares Erleben und somit höchste Erfüllung bedeuten kann? Warum nach ihrer These erst jemand, ein Mann, sterben musste, um die Menschheit von allen Sünden zu erlösen? Und welche Hybris die Theologie ritt, den Begriff Sünde zu definieren und danach zu bewerten? Warum hast Du, verdammt nochmal, nicht diskutiert? Generalpräventive Theorie Feuerbachs, Hegelsche Negation, Kategorischer Imperativ nach Kant. Scheiß Prüfung!

(c) Daniela Röcker 2011

Montag, 7. März 2011

Xing als Plattform für NPD-Mitglieder?

Ohne "Social Media" geht derzeit nichts mehr. Wer nicht "drin" ist, ist "draußen". Ob privat oder kommerziell – jede Darstellungsform ergibt mutmaßlich eine Vielzahl an Multiplikatoren. Der Betreiber von Deutschlands größtem Business-Netzwerk, die Xing AG aus Hamburg, erreichte nach eigenen Angaben bereits Mitte September 2010 die Marke von 10 Millionen registrierten Mitgliedern. Berufstätige aller Branchen vernetzen sich auf Xing und tauschen sich online in über 45.000 Fachgruppen aus oder treffen sich persönlich auf Xing Events.

Eine dieser Fachgruppen widmet sich dem Interessenschwerpunkt „Politik“. Nun möchte man annehmen, dass sich dort in lockerer Runde über demokratische Prinzipien und Werte diskutieren lasse. Bei rund 10.000 Mitgliedern in der Politik-Gruppe sollte dies auch problemlos machbar sein. Jedoch mutet es fast grotesk an, dass auf der einen Seite bundesweit Menschen gegen Rechtsextremismus auf die Straße gehen, in dieser Gruppe dagegen dem Beitrittsgesuch eines NPD-Mitglieds stattgegeben wird und sich dieses fröhlich parlierend äußert und Feedback bekommt. Nun mag man trefflich darüber streiten, wie in einer Demokratie eine rechtsextreme Orientierung, wie die NPD sie vertritt, zu werten ist und ob die Xing AG sich als „social network“ eindeutig gegen rechts positionieren sollte.

Es ist dennoch zu hinterfragen, was einen NPDler dazu bewegt, sich in einem sozialen Netzwerk anzumelden, welches sich perfekt auf dem Parkett der Globalisierung bewegt und diese minutiös forciert. Entweder hat der gute Mann da etwas falsch verstanden oder die NPD ist über Nacht zum Fremden- und Globalisierungsfreund geworden. Es könnte natürlich auch sein, dass der alte Mann auf seine alten Tage ein paar Newbies rekrutieren möchte, ein Schelm, wer Böses dabei denkt, müsste er doch bei der Kontaktaufnahme damit rechnen, auf Menschen mit Migrationshintergrund oder gar auf Nicht-Deutsche zu treffen. Ob das gewollt ist? Möglicherweise dachten sich die Moderatoren der Politik-Gruppe, „jeder Jeck ist anders, der wird sich schon selbst ins Aus schießen“. Wenn dem so wäre, ist die Rechnung aufgegangen. Karnevalssitzungen sind was für senile Bettflüchtige und an beidem – Sitzungen und Flüchtigen – scheint es in der NPD nicht zu mangeln.

http://www.xing.com/net/politik
http://www.xing.com/net/politik/vorstellungsgesprach-4136/
http://de.wikipedia.org/wiki/Per_Lennart_Aae

ERGÄNZUNG: Mit Datum vom 08.03.10 informierte mich Klaus Wiesmüller, Mitmoderator der Politik-Gruppe und Xing Community Manager, darüber, dass die Gruppenmitgliedschaft des NPD-Mitgliedes am 04.03.10 nach Bekanntwerden des rechtsradikalen Hintergrundes beendet wurde. Fluch und Segen der Xing-Technik: nach wie vor ist der Vorstellungsthread des Herrn abrufbar und es darf darüber gelacht werden. Herzlichen Dank für die eindeutige Position von Xing und der Politik-Gruppe.


(c) Daniela Röcker 2011